Lorenzo Maxwell

Kurzgeschichten und Assassin-Fantasy

Ich saß in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und betrachtete das Photo, das mich auf dem Siegertreppchen des „Laufes der Großen Mauer“ zeigte. Meine Hände umklammerten den Bilderrahmen.

Dieses Bild krame ich viel zu oft vor. Ich sollte mich nicht in der Vergangenheit aufhalten. Dieses Jahr habe ich mehr, besser, anders trainiert als letztes Jahr. Und dann habe ich ja auch noch das. Dieses Jahr bekomme ich die Goldmedaille. Ich werde nie wieder Zweiter. Meine Zeiten haben sich verbessert.

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„Mit Hilfe dieses Nanoroboter-Wirkstoff-Komplexes können Sie die Grenzen Ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten sprengen. Damit können sowohl Muskel- als auch Hirnleistung extrem gesteigert werden. Das Schmerzempfinden wird dadurch vermindert.“, sagte der Verkäufer.

„Und dieses Mittel ist legal?“, fragte ich.

Der Verkäufer nickte.

„Diese Substanz wurde noch nicht als illegale Substanz nach dem Antidopinggesetz klassifiziert.“

Ich legte die Stirn in Falten.

„Noch nicht?“, hakte ich nach.

Das klingt ja beruhigend. Muss ich mir etwa nächstes Jahr ein anderes Hilfsmittel suchen? Ein weiteres Mittel das an der Grenze zur Illegalisierung steht?

„Der Wirkstoff-Komplex ist chemisch einer bereits existierenden Droge recht ähnlich. Vermutlich wird er in den nächsten Jahren in den Katalog der illegalen Substanzen des Antidopinggesetzs aufgenommen, aber das braucht Sie jetzt noch nicht zu kümmern.“, sagte der Verkäufer.

Ich spannte meine Schultern an.

„Und der Nanoroboter?“, fragte ich.

Beschwichtigend hob der Verkäufer die Hände.

„Der ist relativ unbedenklich und sorgt dafür, dass der Wirkstoff an der richtigen Stelle des Körpers freigesetzt wird. Sie wollen doch keinen Nobelpreis gewinnen, sondern ein Rennen. Daher werden den Nanorobotern Signale gegeben den Wirkstoff vermehrt im Bereich der Muskeln und nicht im Gehirn freizusetzen.“

„Signale?“, fragte ich.

„Eine einfache Beschallung der Nanoroboter über längere Zeit mit einer dieser Frequenzen“, er zeigte auf eine Stelle der Verpackung, „führt zu einer gezielten Einstellung des Verhältnisses von Nanorobotern, die sich im Gehirn und den Muskeln ansammeln. Die Idee dahinter ist einem unserer Entwickler vor einigen Jahren untergekommen. Die genaue Technik dahinter ist natürlich hochkomplex und ein Firmengeheimnis. Wir verkaufen Ihnen auch zu einem Sonderpreis ein geeignetes Beschallungsgerät. Die notwendigen Frequenzen liegen unterhalb des hörbaren Bereiches und werden daher von den meisten Soundgeräten nicht zur Verfügung gestellt.“

Natürlich wird ein spezielles Gerät dafür benötigt, als wäre der Wirkstoff selbst noch nicht teuer genug. Was gebe ich nicht alles für den Sieg?

Ich zog meinen Geldbeutel hervor und begann die Scheine abzuzählen.

„Ich nehme so ein Gerät und fünf von diesen Wirkstoffampullen.“

Gierig rieb sich der Verkäufer die Hände.

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Die Große Mauer – Grenze zum ehemals verhassten Nachbarreich – erstreckte sich vor mir über die grüne Hügelkette, bis zum Horizont.

Etwa eine Stunde dauert das Wettrennen bereits. Der »Lauf der Großen Mauer« war das sportliche Ereignis des Jahres.

Ich setzte einen Fuß vor den anderen und legte ein gutes Tempo vor.

Ich werde mich jetzt noch nicht verausgaben. Die Stelle ab der ich Gas geben werde erschien vor meinem geistigen Auge. Erst ein Mal dafür sorgen, dass ich nicht zu weit zurückfalle.

Meine Atmung war langsam und tief.

Ich lies meinen Blick über meine Konkurrenten schweifen.

Die meisten von ihnen sind in Topform, doch ich werde sie schlagen, schließlich hat kein anderer meine Geheimwaffe.

Den hier noch eben schnell überholen.

Ich erhöhte meine Geschwindigkeit und setzte mich an die dritte Stelle der Läufer.

Ja, hier ist es gut. Erst ein Mal.

Ich lächelte.

Mein Atem ging ruhig. Eine laue Brise umwehte mich. Mein Körper war leicht. Leicht wie eine Feder. Meine Beine bewegten sich wie von selbst.

Ich könnte eine Ewigkeit so weiter laufen. Vermutlich ist dies bei mir auch tatsächlich der Fall. Was meine Kontrahenten betrifft, die dasselbe Gefühl überkam, so bezweifele ich, dass sie so weit und so schnell laufen können wie ich. Die haben nur ein Läuferhoch.

Ich lachte laut.

Einige Zuschauer blickten mich verwirrt an. Ich winkte ihnen zu, warf einige Luftküsse und lief lachend weiter.

Das tut gut. Dort vorne ist auch schon die letzte Hügelkuppe des Streckenabschnittes.

Ich beschleunigte meine Schritte und überholte gelassen den zweitplatzierten Läufer. Mein Atem ging noch immer ruhig.

Das hier ist wie ein Spaziergang im Park.

Ich schüttelte den Kopf.

Worüber noch gleich hatte ich mir bis vorhin Sorgen gemacht. Das Mittelchen wirkte ohne Nebenwirkungen.

Gemütlich trabte ich am Erstplatzierten vorbei, lächelte und winkte ihm zu.

Die Ziellinie flatterte im Wind.

Nur noch hundert Meter.

Musik schallte von der Ziellinie.

Mein Herz begann zu rasen, kalter Schweiß brach auf meinem Rücken aus.

Kälte zog in meine Gliedmaßen, mein ganzer Körper zitterte.

Was hatte der Verkäufer noch gleich über mein kleines Hilfsmittel gesagt?

Das Band der Ziellinie flatterte noch immer im Wind.

Mir wurde kurzzeitig schwarz vor Augen. Ich stolperte in Richtung der Ziellinie.

Ich muss gewinnen.

Zuschauer jubelten uns zu und feuerten uns an.

Aus einer Boombox tönte Musik.

Mein Kopf. Warum fühlt sich mein Kopf so komisch an?

Wer bin ich? Was bin ich? Was tue ich hier?

Langsamer stolperte ich weiter.

Ziellinie. Gewinnen. Wie habe ich das nur vergessen können?

Ich raffte mich wieder zusammen.

Warum fällt mir das Gehen plötzlich so schwer?

Siegessicher streckte ich meine Hand nach der Ziellinie aus und ein anderer durchschritt sie.

„Nein!“, schrie ich.

Alles wurde unscharf.

Ein harter Aufprall auf den Boden holte mich zurück in die Realität.

„Mein Kopf!“

„Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat.“, nuschelte ich.

Wieder hat es nicht zum Sieg gereicht.

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